Ich beziehe (mich auf) mein Kind

Er-Ziehen oder Be-ziehen wir?!

Gestern wurde ich mit etwas verwunderten Augen angeschaut, als ich meiner Mutti dankte, so liberal und demokratisch erzogen worden zu sein. Und ein Mithörender fragte mich, ob dass nicht normal sei? Würde man meinen, aber in meiner täglichen Arbeit sehe ich auch, dass die Eltern sich selbstbewusste und selbstsichere Kinder wünschen, sie aber in ihrem Sein unterbinden. "Man müsse Kinder erziehen. Ihnen eine Führung geben und klare Grenzen ziehen sowie Konsequenzen spüren lassen." Ich glaube, dass jeder verantwortungswolle Elternteil durch sein eigenes Sein eine Richtung vorgibt, wie zu leben sein kann. Da geht es nicht um Macht.Führung. Einbahnstraße. Wir vermitteln im Zusammen sein Normen und Werte, die uns als Eltern, als Menschen wichtig sind. Dafür brauchen wir weder Macht, noch Kontrolle oder Strenge. Es passiert einfach. ganz neben bei. Und jeder Mensch besitzt in sich seine ganz individuelle Grenze, die wird dann auch gezogen. Bei manchen ist das, wenn ein Kind auf den Tisch klettert, bei anderen eben nicht. Warum sollten Kinder nicht auch mal auf dem Tisch tanzen?

Es ist doch Irrglaube anderen Familien erzählen zu wollen, wie das so zu sein hat, mit dem Schlafen gehen, mit dem Essen und mit dem Kuscheln. Dafür gibt es doch keine Uhrzeit, keine Richtung. Da hat doch jeder seine eigene Vorstellung und damit meine ich nicht bedenklich, kindeswohlgefährdende Verhaltensweisen der Eltern. Ich erlebe jeden Tag, wie wir uns gegenseitig als Eltern mustern, wie wir angeschaut werden, wenn wir neben unseren frustrierten Kindern sitzen, zugewandt, offen und abwartend. Man müsse doch dem Sprößling zeigen, dass es so nicht geht. In Stresssituationen be-ziehe ich mich auf mein Kind, in dem ich es ernst nehme, es wahrnehme in seinen Gefühlen und ihm sein Gefühl zugestehe, ohne es abzuwerten oder sie als falsch einzuschätzen. Ich beziehe mich auf die Situation und auf das Verhalten meines Kindes und zeitgleich auf meine Bedürfnisse. Puh... klingt komplex. Anstrengend. Fordernd.

Vielleicht. Bestimmt. Aber ist er-ziehen die Alternative? Der Weg? Wer zieht an wem? Er-zieht? Sie-zieht? wir-ziehen? In jedem Fall fühlt sich dass immer ein Stück nach "Wer ist der Stärkere, wer gewinnt" an. Dabei wünschen wir uns doch alle Beziheungen , die gefüllt sind mit Zuverlässigkeit, Liebe und Interesse. Partnerschaften beziehen sich und erziehen sich nicht mehr. Aber bei Kindern, den traut man das nicht zu. Wir wünschen uns doch alle jemanden im Leben, der uns zugewandt ist, der uns die Dinge erklärt, wenn wir sie nicht verstehen.

„Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt!“ (Kant)

Jemanden, der uns in den Arm nimmt, wenn wir traurig sind und bei uns ist, wenn es uns schlecht geht. Und nicht maßregelt, bewertet, bestimmt, anführt, ignoriert und uns allein lässt, wenn wir anders denken und handeln. Zu bleiben statt zu gehen. Auszuhalten, festzuhalten, halten. Wir können uns im Zusammenleben mit Kindern dafür öffnen, eine Beziehung zu pflegen, die sie als gleichberechtigt und gleicher Würde ansieht, nicht als minder, halbfertig oder inkompetent. Wie oft ist der Satz zu hören, da kann ich etwas von meinem Kind lernen. Da ist mein Kind viel komptenter als ich. Es ist weniger stolz und nachtragend, usw. Genau. weil wir gegenseitig voneinander lernen. Weil wir in Beziehungen leben, wo jedes Bedürfnis gesehen wird und wo ein gemeinschaftlicher Weg gegangen wird. Es ist nicht einfach, eher herausfordernd, aber am Ende des Tages sehr beglückend.